Serdar Kayacan: „Ich bin ein Feldmochinger“
Seit fast drei Jahren gibt es den Rewe-Markt am Walter-Sedlmayr-Platz. Seit dieser Zeit hat Marktleiter Serdar Kayacan (27) mit seinem rund 40-köpfigen Team viel gemeistert, viel erlebt, viel durchgemacht und sich immer wieder neuen, ja ungeahnten Herausforderungen gestellt. Stichwort: Corona.
Den Schritt in die Selbständigkeit, den er als seinerzeit jüngster Kaufmann Deutschlands gewagt hat, bereut er nicht. Sein Job ist für ihn stets sinnhaft, seit Corona noch viel mehr. Und man glaubt dem jungen Unternehmer aufs Wort, dass er in den nächsten Jahren noch viel vor hat mit seinem Standort, viel schaffen, viel Zeit und Energie „reinpumpen“ möchte.
Zech, Obersojer, Frankl, Angermaier, Bettinger… das sind geläufige Namen in Feldmoching. Serdar Kayacan fällt da aus dem ortsüblichen Rahmen und klingt erst mal nicht ganz so Deutsch. Doch der junge Deutschtürke fühlt sich in Feldmoching herzlich aufgenommen und gut angekommen. Die Großeltern kamen Anfang der 1980er Jahre als „Gastarbeiter“ von Balikesir im Westen der Türkei nach Deutschland, und hätten sich damals wohl nie träumen lassen, dass Sohn wie Enkel hier „hängen“ bleiben; denn eigentlich war nur geplant, in Deutschland Geld zu verdienen und dann – tschüss/hosçakal – wieder ab in den warmen Süden.
Er ist im Unternehmerverein und wird ihn demnächst wohl als 1. Vorsitzender mit seiner Dynamik neu beflügeln – sobald die Corona-Bestimmungen regelmäßige Treffs wieder zulassen; er unterstützt die hiesigen Vereine, wann immer sie auf ihn zukommen, den TSV Feldmoching beispielsweise alljährlich im November mit der Aktion „Vereinsscheine“. Er arbeitet mit der neu gegründeten Münchner Bauerngenossenschaft (siehe Lokal-Anzeiger 15/2020) zusammen und verkauft Feldmochinger Quinoa, Kartoffeln (Münchner Hörnchen, Blauer St. Galler) vom Obersojer, Hauslersche Kräutertöpfe und Kaffee von der Kaffeerösterei Schneid. Und er ist offen für weitere regionale Produkte (den Lokal-Anzeiger gibt es dort übrigens nun auch zu kaufen, wer ihn nicht im Abo lesen mag).
Feldmoching ist die Heimat von Kayacan geworden, und damit er möglichst schnell an seiner Wirkungsstätte ist – die Rewe-Filiale hat schließlich von 6 bis 20 Uhr geöffnet, sprich das Personal ist bereits ab 5 Uhr vor Ort – hat er sich nebenan im Abasto-Hotel eingemietet. Da braucht der Junggeselle sich nicht mehr um lästige Hausarbeiten zu kümmern, kann sich ausschließlich den Herausforderungen seines Geschäfts widmen und ist sofort zur Stelle, wenn’s irgendwo „brennt“. Denn langweilig ist seine Aufgabe nie – am Tag unseres Interviews etwa entdeckte ein Mitarbeiter in den Regalen viele aufgerissene Verpackungen, einen halben Einkaufskorb voller beschädigter Waren hatte er schon ausgemustert. Ganz offensichtlich hatte jemand seinen sinnlosen Vandalismus im ganzen Geschäft, von den Fleischwaren bis zum Schokoriegel, ausgelebt.
Serdar Kayacan ist ein echtes Rewe-Gewächs
Kayacan wusste trotz seiner jungen Jahre worauf er sich einließ, als er sich selbstständig machte und dem Rewe-Partnerschaftsmodell beitrat. Die Strukturen der 1927 als Zusammenschluss von Einzelhändlern gegründeten Genossenschaft sind ihm von der Pike auf vertraut. Schon während der Schulzeit jobbte er als 16-jähriger bei Rewe in Eching, wo er nach der Mittleren Reife auch von 2010 bis 2013 seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolvierte. 2014 wechselte er als Assistent 2 zu einem Rewe-Markt nach Neufahrn, fünf Monate später als Assistent 1 zu einem sehr schönen ReweLaden in Schwabing.
Im Februar 2015 wurde er Marktleiter in Landshut. Eine echte Herausforderung, wie er sagt. Mit dem nicht gerade deutschesten Namen in Niederbayern. Dazu 35 Mitarbeiter und selbst der Azubi älter als der Chef. Nach 2,5 Jahren wechselte er noch einmal als Marktleiter nach Landshut, ehe er seinem Drang nach Selbstständigkeit folgte. Der ist offensichtlich genetisch bedingt, wie er scherzt. Schon Papa Vedat wollte nach Abschluss der Schule lieber sein eigener Herr sein und führt ein Café in Neufahrn. Mama Ümmühan (was übersetzt in etwa „Mutter des Herrschers“ bedeutet) hingegen unterstützt den Sohn in der Küche und zeichnet für die frische Salatbar und die Convenience-Produkte, etwa die mundgerecht verpackten Obststückchen, verantwortlich.
Der Rewe-Markt zählt zu den kundenstärksten Filialen
Die Feldmochinger Rewe-Filiale gehört, was die Kundenzahl betrifft, zu den Top 5 in München und ist, so lernen wir, eine gute Mischung aus Land- und Stadtmarkt. Ein Landmarkt ist in der Branche an sich nicht so beliebt, weil er überwiegend Stammkundschaft hat. Von der Corona-Krise profitieren aber nun insbesondere Landmärkte, da alle im Homeoffice sitzen (wo keine Kantine zur Verfügung steht) und auch ob der geschlossenen Restaurants selbst kochen müssen, sprich, die Menschen kaufen verstärkt Lebensmittel ein. Stadtmärkte hingegen, die bis vor einem Jahr als sichere geschäftliche Bank galten, da sie an ihren guten, verkehrsreichen Standorten viel Laufkundschaft haben, leiden nun unter dem drastischen Rückgang eben dieser Laufkundschaft.
So kann auch der Rewe-Markt am Feldmochinger Bahnhof zu „normalen“ Zeiten viele MVV-Fahrgäste von U-/S-Bahn und Bus begrüßen, die beim Umstieg oder während des Wartens auf den nächsten Zug/Bus schnell noch einkaufen. Zu „normalen“ Zeiten fallen auch die Schulkinder auf ihrem Nachhauseweg per Bus schwarmartig ins Geschäft ein, um sich etwa einen Döner oder einen Salat zu Mittag zu kaufen. Mehr noch als im ersten Lockdown im Frühjahr letzten Jahren fehlt im zweiten Lockdown gerade diese Laufkundschaft. Immerhin haben die Stammkunden mehr eingekauft, so dass 2020 für Kayacan unter dem Strich doch ein gutes Jahr war.
Vor allem aber gefällt ihm, dass durch Corona das Image des Einzelhandels aufgewertet wurde. Man freue sich nun wieder, im Lebensmittelhandel zu arbeiten (erkennbar auch daran, dass derzeit viele Menschen nach Arbeit anfragen), man sei stolz darauf, als systemrelevant, als Helden der Arbeit zu gelten, die auch in der Anfangszeit mit großer Unsicherheit an vorderster Front für die Aufrechterhaltung der Nahversorgung sorgten. Und Kayacan ist noch heute stolz darauf, dass es in seinem Geschäft nie Nachschubprobleme – selbst bei den gefragtesten Artikeln wie Toilettenpapier – gab.
Kayacan, so erfahren wir von seinem Assistenten (und Freund) Abdulkadir Akin, sei ein durchaus strenger, in jedem Fall ein sehr konsequenter Chef. Der sehr großen Wert darauf legt, dass das Team zu den Kunden, den eigentlichen Arbeitgebern, sehr herzlich und freundlich sei – Kayacan selbst steht nachmittags gerne mal beim Eingang, plaudert mit (Stamm-)Kunden und erkundigt sich nach deren Zufriedenheit. Sehr viel Wert legt er ferner auf die Sauberkeit im Laden, auf unverstellte, freie Gänge und vor allem darauf, dass die „Regale spiegeln“, sprich die Ware stets akkurat aufgeräumt in den Regalen steht.
Es wird sich in nächster Zeit sicher einiges tun
Ein Lebensmittelmarkt ist ständig im Fluss: Neue Produkte werden ins Sortiment genommen, Ladenhüter, an denen sich die Kundschaft „abgegessen“ hat, ausgelistet. So sollen nun verstärkt internationale Feinkostprodukte (asiatisch, griechisch und vom Balkan) aufgenommen werden, schließlich stehe der Markt an einem Drehkreuz, am Tor zu München und zum Flughafen. Auch die Biopalette soll erweitert werden. Und der Markt wird demnächst etwas umgebaut: Neben der Metzgereitheke im hinteren Bereich des Ladens wird eine Deutsche-Post- sowie eine Toto-Lotto-Annahmestelle installiert.
Überhaupt hat Kayacan viele Ideen, die aber einen längeren Atem brauchen: etwa ein gläsernes Eingangs-Foyer direkt vom U-Bahn-Zwischengeschoss aus in den Rewe, wie es seinerzeit dem Bauherrn schon vorschwebte, die Stadt dies aber ablehnte. Dann ließen sich dort nebst einem Imbiss Sitzplätze installieren und es gäbe andere Öffnungszeiten, etwa bis 23 Uhr. Auch für den Umbau des Walter-Sedlmayr-Platzes macht Kayacan sich als einer der großen Anlieger stark. Der Besuch von Manuel Pretzl, seinerzeit 2. Bürgermeister, im Dezember 2019 geht mit auf seine Initiative zurück.
Attraktiver soll der Platz werden, mit deutlich mehr Aufenthaltsqualität. Ein weiteres Anliegen ist es ihm, dass die Verschmutzung des Platzes zurückgeht, denn ganz augenscheinlich reicht an schönen Sommertagen weder die Anzahl der aufgestellten Papierkörbe noch das Intervall ihrer Leerung aus. Der Platz ist oft verdreckt durch herumliegenden Müll. Der Rewe hat sich hier einen pfiffigen Deal einfallen lassen: Wenn ein Obdachloser, Schüler, Rentner & Co. kommt, Greifer und Müllsack beim Rewe abholt und damit auf dem Platz für mehr Sauberkeit sorgt, erhält er im Gegenzug Essen und Trinken.